Nancarrow
und Ligeti -Eine musikalische Verwandtschaft
Dokumentation von Jürgen
Hocker©
Langfassung
mit Originaltexten und Übersetzungen sowie Literatur Anmerkungen. Eine
Kurzfassung ist in 'MusikTexte' erschienen.
(Die Zahlenangaben bei Zitaten verweisen auf Karteimerkmale im Archiv
des Autors und erleichtern ggf. das Auffinden von Dokumenten.)
György Ligeti und
Conlon Nancarrow - das Zusammentreffen dieser Komponisten gehört zu den
unvorhersehbaren, und unerwarteten Fügungen der Musikgeschichte, denn
allzu unterschiedlich erscheinen Lebenswege und Charaktere dieser beiden
Persönlichkeiten. György Ligeti - Kosmopolit, weltoffen, redegewandt
und selbstbewusst, seit Jahrzehnten im Zentrum der musikalischen
Entwicklung, erfolgreich und international anerkannt, zur Verwirklichung
seiner musikalischen Ideen das gesamte Instrumentarium virtuos nutzend.
Hingegen Conlon Nancarrow - im selbstgewählten Exil in Mexico lebend,
musikalisch und gesellschaftlich isoliert, introvertiert, wortkarg, für
Jahrzehnte seine musikalischen Ideen einem Instrumentenkuriosum - dem
Player Piano - anvertrauend, bis in die achtziger Jahre von der
Musikszene fast völlig ignoriert. Trotz all dieser Verschiedenheiten
besteht zwischen Ligeti und Nancarrow eine tiefe musikalische
Seelenverwandtschaft, und gegenseitige Bewunderund Befruchtung führten
zu einer echten Freundschaft. Dieser Gleichklang wäre nicht möglich
gewesen, hätten die unterschiedlichen Charaktere nicht auch viele
Gemeinsamkeiten aufgewiesen: Unstillbarer Wissensdurst und eine
neugierige Offenheit gegenüber allem Neuen, eine gesunde Selbstkritik,
großes politisches Engagement und eine Begeisterung für
naturwissenschaftliche Phänomene.
Der 11 Jahre jüngere
Ligeti wurde zum engagiertesten Förderer Nancarrows und neben Peter
Garland, Charles Amirkhanian und James Tenney zum wichtigsten
Wegbereiter für die internationale Anerkennung seines musikalischen
Lebenswerkes.
György Ligeti, Conlon Nancarrow und Jürgen Hocker während einer
Pressekonferenz in der Kölner Philharmonie 1988. Foto: Gisela Gronemeyer
Vorgeschichte
Ligeti hörte
erstmals den Namen 'Nancarrow' im Zusammenhang mit dem Festival 'Für
Augen und Ohren - von der Spieluhr zum akustischen Environement', das im
Januar 1980 in Berlin stattfand. Erstmals wurde im
Musikinstrumentenmuseum in Berlin der Versuch unternommen, auf einem
schlecht funktionierenden Klavierspielapparat Nancarrows Sonatina
und einige seiner Studies for
Player Piano aufzuführen. Ligeti war zwar bei den Konzerten nicht
anwesend, bekam aber einige Monate später den ausführlichen
Veranstaltungskatalog zu Gesicht. Eine Partiturseite von Nancarrows
Study No. 36 erregte seine Aufmerksamkeit - die Komplexität und
temporale Vielschichtigkeit faszinierten ihn. Ligeti hatte bereits 1972
Mexico besucht und sich mit dem dortigen Musikleben vertraut gemacht,
aber keiner der 'Musikgewaltigen' Mexicos hatte den Namen 'Nancarrow'
auch nur andeutungsweise erwähnt.
Im Frühjahr 1980
besuchte Ligeti während eines Aufenthaltes in Paris das bekannte
Schallplattengeschäft FNAC, das neben konventioneller Musik eine
umgangreiche Auswahl an ethnischer und zeitgenössischer Musik führte.
Da er, wie er einmal sagte, auch nicht ganz frei von Eitelkeit sei (‘...
und dann kommt die kleine Eitelkeit von Herrn Ligeti, die nicht sehr groß
ist, aber doch da ist.... ' Interview
mit Uli Aumüller 1992, 508), wollte er nachschauen, ob auch eine
seiner Kompositionen in den Regalen standen. Dies war, wie er mit
Befriedigung feststellte, tatsächlich der Fall. Er suchte noch nach
neuen Aufnahmen von Olivier Messiaen, den er sehr schätzte, und er
erwarb einige Neuaufnahmen. Als er die alphabetisch nach Komponisten
geordneten Schallplatten weiter durchsah, entdeckte er plötzlich zwei
Platten mit Player Piano-Kompositionen von Nancarrow, die er spontan
kaufte.
Während der
Heimfahrt nach Hamburg übernachtete er bei einer Autobahnraststätte in
der Nähe von Solingen, und während der Nacht wurde sein in einer
Garage abgestelltes Auto aufgebrochen. Wie er selbst erzählte, waren die
Räuber offensichtlich sehr gründlich und wählerisch: Sie stahlen das
Autoradio und öffneten seine beiden Koffer: die gebügelte Wäsche
nahmen sie mit, die schmutzige Wäsche ließen sie jedoch liegen. Auch
bei der Auswahl der Schallplatten, die sich in seinem Auto befanden,
trafen sie eine Auswahl: Sie stahlen die Platten mit Gamelan und
Jiddischer Musik sowie die Messiaen-Aufnahmen, ließen jedoch die beiden
Nancarrow-Schallplatten unbeachtet liegen. '...das
hat mich total frappiert. Ein Räuber, der Messiaen kennt und
gottseidank Nancarrow nicht.... '
(Interview mit Uli Aumüller 1992, 508.)
Als Ligeti die
Nancarrow-Schallplatten zum ersten Mal hörte, war er überwältigt - er
bezeichnete sein Gefühl als 'Liebe
auf den ersten Blick'. Diese Musik war von einer unglaublichen Schönheit
und Frische, zwar zeitgenössisch, aber keiner Schule verpflichtet,
amerikanisch, aber ohne Anklänge an Ives oder Cage, vielmehr in der
Tradition von Bach, Strawinsky und Jazz geschrieben. Besonders
fasziniert war er von der Study
No. 20, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Ligetis bereits 1976
entstandenen Monument für zwei Klaviere hatte:
'...Seine
Studie 20 ist so wahnsinnig ähnlich zu meinem Stück 'Monument'. Es ist
fast dasselbe Stück mit der gleichen Art von Diatonik. Mehrere
Schichten, die sich allmählich aufbauen und gegenseitig verschieben. Es
war ein ganz merkwürdiges Erlebnis...'
(Interview mit Uli Aumüller 1992, 508).
Es ist bezeichnend
für Ligeti, dass er diese 'Neuentdeckung' nicht für sich behielt,
sondern dass es ihm offensichtlich ein tiefes Bedürfnis war, diesen
Schatz mit anderen zu teilen: Er verschickte Dutzende von Tonkassetten
mit Nancarrows Musik an seine Freunde in Deutschland, Österreich,
Ungarn, UdSSR und Schweden. Auf diese Weise lernten erstmals viele
bedeutende Künstler Nancarrows Musik kennen. An Mario Bonaventura,
Dirigent, Pianist, Verleger und Widmungsträger von Ligetis
Klavierkonzert schrieb er im Juni 1980:
...
do you know the American composer Conlon Nancarrow, who lives in Mexico
City? ...Now listen: after the few player piano studies of Nancarrow, I
listened to, I affirm with all my serious judgement that Conlon
Nancarrow is the absolutely greatest living composer. If J.S. Bach would
been grown up instead with the protestant choral with blues,
boogie-woogie and latino-american music, he would compose like
Nancarrow, i.e. Nancarrow is the synthesis of American tradition,
polyphony of Bach and elegance of Strawinsky, but even much more: he is
the best composer of the second half of this century. I don't know
whether his music is published, I cannot find any trace of it, nobody
knows him here. If he's not published,
publish his music! He is a phaenomenon like Charles Ives, working
hidden, ..." (Brief
Ligetis an Mario Bonaventura vom 28.6.1980, 558.)
'...kennst
Du den amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow, der in Mexico City
lebt? ...Nun, höre zu: nach den wenigen Studies for Player Piano von
Nancarrow, die ich gehört habe, versichere ich mit aller
Ernsthaftigkeit, dass Conlon Nancarrow der bedeutendste lebende
Komponist ist. Wenn J.S. Bach statt mit dem protestantischen Choral mit
Blues, Boogie-Woogie und lateinamerikanischer Musik aufgewachsen wäre,
er hätte wie Nancarrow komponiert, i.e-
Nancarrow verkörpert die Synthese amerikanischer Tradition, der
Polyphonie Bachs und der Eleganz Strawinskys - mehr noch: Er ist der
bedeutendste Komponist der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts. Ich weiß
nicht, ob seine Musik publiziert ist, ich kann keine Spur davon finden,
niemand hier kennt ihn. Wenn er noch
nicht veröffentlicht ist, dann
veröffentliche seine Musik! Er ist ein Phänomen wie Charles
Ives, das im verborgenen arbeitet.....' (Brief Ligetis an Mario Bonaventura vom 28.6.1980, 558.)
Im Januar 1981 schrieb
er in einem Brief an Charles Amirkhanian, Komponist,
Schallplattenverleger und Direktor einer kleinen Radiostation in
Berkeley:
"Dear
Charles Amirkhanian, last summer I found in a Paris grammophone record
shop the two records you made with Conlon Nancarrow's music (Volume 1
and 2). I listened by the music and became immediately enthusiastic.
This music is the greatest discovery since Webern and Ives. (I agree
with John Tenney's introductory essay -- not in every detail but in his
consideration, putting Nancarrow in the first rang
of the composers of this century.)
With the discovery of Nancarrow you made something great and
important! For the whole music history! ... his music is so utmost
original, enjoyable, constructive and at the same time emotional ... for
me it's the best music of any today living composer." (221)
Im vergangenen Sommer fand ich in einem
Pariser Schallplattengeschäft zwei Platten mit Musik von Conlon
Nancarrow. Ich hörte die Musik an und war sofort begeistert. Diese
Musik ist die größte Entdeckung seit Webern und Ives.... Seine Musik
ist überaus originell, erfreulich, konstruktiv und gleichzeitig
emotional..... für mich ist es die beste Musik eines lebenden
Komponisten. (Auszug).
Ligeti hatte jedoch bis
dahin noch keinen persönlichen Kontakt mit Nancarrow aufgenommen, da er
weder seine Adresse noch sein Telefonnummer kannte. Trotz seiner
Isolation in Mexico registrierte Nancarrow mit Verwunderung die Aktivitäten
um seine Person im fernen Europa. Er schreibt im September 1980 an einen
Freund:
'Du
kannst Dir gar nicht vorstellen, wie berühmt ich in Deutschland werde.
Kürzlich bekam ich einen Brief eines Professors aus Darmstadt, der mich
um Erlaubnis zum Nachdruck einiger Seiten aus den 'Selected Studies'
bat. Abgesehen von seinen eigenen Lobreden erwähnte er, dass Ligeti ihm
gesagt habe, ich sei der größte lebende Komponist.
(Brief
Nancarrows an Peter Garland vom 17.9.1980, 84)
Nancarrow wußte zwarvon
der Bedeutung Ligetis in Europa, er hatte jedoch bislang keine Musik von
ihm gehört. Ligeti ließ ihm über den Schott-Verlag drei Schallplatten
mit ausgesuchten Kompositionen zuschicken, die bei Nancarrow spontane
Begeisterung auslösten. Er schrieb 1982 , nachdem er Ligetis Musik gehört
hatte, an seine damalige Agentin Eva Soltes:
"About
five months ago a got a notice from Germany that they were sending me
three Ligeti records [Streichquartette
Nos. 1 und 2, Le Grand Macabre, Doppelkonzert, 2 Etüden für Orgel].
I just received them, and from the looks of the package it must have
spent five months in the hold of a ship. The music is terrific. Of
course, before I was flattered that the famous leader of the European
avant garde was saying all those things about my music. For all I know
he could have been famous for all kinds of things, such as being the
first to have synchronized burps and farts. So I rather reluctantly went
to Hector's house to listen to them. After all I would have to make some
comment about them. Well, I was really bowled over. This is not Cagean
clowning, but very original and impressive music. I am anxious to write
to him, and have already written to Charles (Amirkhanian)
and Peter (Garland), asking
for his address. In case neither one comes through, would you please
send it.” (Brief an Eva Soltes
vom 18.6.1982)
Vor ungefähr fünf Monaten bekam ich
eine Nachricht aus Deutschland, man würde mir drei Schallplatten mit
Ligetis Musik zuschicken.
[Streichquartette No. 1 und 2, Le Grand Macabre, Doppelkonzert, 2 Etüden
für Orgel]. Ich habe sie gerade
erhalten, und nach der Verpackung zu urteilen, müssen sie sechs Monate
im Laderaum eines Schiffes verbracht haben. Die Musik ist umwerfend.
Natürlich
war ich zuvor geschmeichelt, dass der berühmte Vordenker der europäischen
Avantgarde all diese Dinge über meine Musik gesagt hatte. Ich wusste so
wenig über ihn - er hätte aus den verschiedensten Gründen berühmt
sein, so z.B. weil er der erste gewesen sein könnte, der Rülpser und Fürze
synchronisiert hat. So ging ich mit einigen Vorbehalten zu Hectors Haus,
um mir die Musik anzuhören. Ich war regelrecht
überwältigt. Dies sind keine Clownerien à la Cage, sondern es
ist höchst originelle und eindrucksvolle Musik. Ich
bin ein wenig ängstlich, ihm zu schreiben...(1982
an Eva Soltes, 179.)
So unwahrscheinlich es
klingt - Nancarrow besaß über viele Jahre weder einen funktionsfähigen
Schallplattenspieler noch ein Tonbandgerät. Er musste die
Ligeti-Platten bei einem Freund abspielen. Am 30.06.1982 trat Nancarrow
erstmals brieflich mit Ligeti in Kontakt:
"Dear
Mr. Ligeti: About six months ago I was advised from Germany that they
were sending me three records of your music. They just arrived. I am
overwhelmed. Thanks for having them sent. For some time I have been very
flattered by the things you have been saying about my music. Of course I
knew that you were a famous composer, but I had not heard a note of your
music. Well, now I have, and am very impressed. I haven't felt such
excitement since Bartok and Stravinsky. By the way, are the String
Quartets published? I would like to see the scores. I understand that
you will be at the ISCM festival in Graz. I look forward to seeing you.
Best regards, Conlon Nancarrow." (Brief Nancarrows an
Ligeti vom 30.6.1982, 223)
'Lieber
Herr Ligeti: Vor etwa sechs Monaten bekam ich eine Mitteilung aus
Deutschland, man würde mir drei Schallplatten mit Ihrer Musik
zuschicken. Sie kamen gerade an. Ich bin überwältigt. Danke für die
Zusendung. Vor einiger Zeit fühlte ich mich sehr geschmeichelt von den
Bemerkungen, die Sie über meine Musik gemacht haben. Natürlich wusste
ich, dass Sie ein bedeutender Komponist sind - aber ich hatte keine Note
Ihrer Musik gehört. Nun - jetzt habe ich, und ich bin sehr beeindruckt.
Ich habe seit Bartok und Strawinsky keine solche Begeisterung mehr gefühlt.
Sind die Streichquartette eigentlich publiziert? Ich würde gerne die
Noten sehen. Ich habe gelesen, dass Sie bei dem ISCM Festival in Graz
anwesend sein werden. Ich freue mich auf die Begegnung.'
Seine
Begeisterung für Ligetis Streichquartette bringt Nancarrow auch in
einem Brief an einen Freund zum Ausdruck:
I
wish you would listen to Ligeti's 2nd string quartet. For me it is a
direct descendent of Bartok's 4th, which is for me one of the high
points of this century. (Brief an Peter Garland vom 25.1.1983.)
'Ich wünschte Du würdest Dir Ligetis
2. Streichquartett anhören. Für mich ist es die direkte Nachfolge von
Bartoks viertem, das einen der Höhepunkte (der Musik) dieses
Jahrhunderts darstellt.'
Im August 1982
antwortete Ligeti:
Dear
Mr. Nancarrow, thank you so much for your letter, it is the greatest
pleasure for me. Since I know your music (i.e. since summer 1980 when I
heard the first two records of your Studies) I love your music more than
any other music of a now living composer. Since then I got also the
third record and a number of scores published by Mr. Garland both in
Soundings and separately. It's very hard to get your records in Europe,
therefore -- I hope you don't object -- I made a great number of tape
copies for friends, so your Studies reached even some East European
countries.... I didn't know your address until your letter came...I'm
very happy to meet you in Graz... I have the honour to introduce your
music at the ISCM festival and I look very much foreward for this event
and for your personal presence there... ' (Brief Ligetis an Nancarrow vom
20.8.1982. 224?)
'Sehr
geehrter Herr Nancarrow, ich danke Ihnen vielmals für Ihren Brief, er
war die größte Freude für mich. Seit ich Ihre Musik kenne ( seit
Sommer 1980, als ich die ersten beiden Schallplatten mit Ihren Studies hörte)
liebe ich Ihre Musik mehr als jede Musik eines anderen lebenden
Komponisten. Seitdem habe ich auch die dritte Platte und einige
Partituren bekommen, die Herr Garland in Soundings und anderweitig veröffentlicht
hat. Es ist sehr schwierig, Ihre Aufnahmen in Europa zu bekommen,
deshalb habe ich -- ich hoffe sehr, Sie haben nichts dagegen -- eine größere
Anzahl an Tonbandkopien für meine Freunde gemacht, so dass Ihre Studies
nun sogar osteuropäische Länder erreicht haben... Ich kannte Ihre
Adresse nicht, bis Ihr Brief ankam.... Ich bin sehr glücklich darüber,
daß wir uns in Graz treffen.... Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, Ihre
Musik bei dem ISCM-Festival vorzustellen, und ich freue mich sehr auf
dieses Ereignis und auf auf das Treffen mit Ihnen...’
Im September 1982 teilt
Ligeti Nancarrow mit, er habe Schott gebeten, Nancarrow einige
Partituren und weitere Tonaufnahmen seiner Kompositionen zuzuschicken.
Zudem habe er bei dem Geschäftsführer von Schott, Dr. Hanser-Strecker,
angeregt, Nancarrows Werk verlegerisch zu betreuen. Dieser Vorschlag sei
auf offene Ohren gestoßen. (Die Realisierung sollte jedoch noch mehrere
Jahre in Anspruch nehmen.)
Ligeti war auch maßgeblich
an den Vorbereitungen für die Europareise Nancarrows und die
Konzertveranstaltungen 1982 in Österreich und Deutschland beteiligt. So
machte er z.B. Vorschläge zur Auswahl der "Studies", die in
Graz aufgeführt werden sollten. Dieses Programm fand Nancarrows volle
Zustimmung: 'I'd say he has good
taste.'
Erstes Treffen
Die beiden Komponisten
trafen erstmals Ende Oktober in Graz in Österreich anläßlich des
ISCM-Festivals zusammen. Für Nancarrow war dies die erste Europareise
seit 1937, (als er in Spanien an den Kämpfen gegen das faschistische
Franco-Regime teilnahm) und er unternahm sie gemeinsam mit seiner Frau
Yoko und ihrem gemeinsamen Sohn Mako. Zudem wurde er von seiner Agentin
Eva Soltes (eine Verbindung, die übrigens nur von kurzer Dauer sein
sollte) sowie dem Toningenieur Bob Shumaker begleitet. Diese Reise
sollte ihn von Graz über Hall in Tirol nach Köln (WDR und Kölnischer
Kunstverein) und Paris (IRCAM) führen. Ligeti begleitete Nancarrow auf
einem Teil seiner Europa-Reise, stellte ihn in Graz, Hall und in Köln
persönlich vor und moderierte seine Konzerte. Für Nancarrow war diese
Reise ein großer Erfolg. Er berichtete nach seiner Rückkehr nach
Mexico an Peter Garland:
"Dear
Peter: Wonderful tour of Europe... The european trip was a great success
and pleasure. Ligeti introduced and lectured on my music in the two
places in Austria and the one in Germany. He is a real character and we
had some wonderful conversations (in one of his seven languages). We had
wonderful weather the whole time. I had been warned before we left about
the terrible cold, so I took a whole bag of wool shirts, etc., none of
which I used. It was warmer than Mexico at that time of year. We got the
red carpet treatment everywhere, but it was a relief to get out of the
heavy Germanic food into the wonderful French cuisine and wine. Also, I
had forgotten what a beautiful city Paris is. My appearance at IRCAM was
also a great success. The hall was sold out, with people storming the
gates. Roger (Reynolds) introduced my music,
with him and Cage on the panel discussion at the end, which was not too
successful, partly because of linguistic problems, but also because of
the French penchant for making a 5-minute lecture in something that was
supposed to be a question and answer period, and when I pointed out that
it was not a question the reply was that it was not supposed to be."
(Brief
vom 8.12.1982 an Peter Garland. 113,114.)
Lieber
Peter, wundervolle Europatour... Der Europa-Trip war ein großartiger
Erfolg und ein Vergnügen. In den zwei Orten in Österreich und in dem
einen in Deutschland führte Ligeti in meine Musik ein. Er ist eine
echte Persönlichkeit, und wir hatten einige wunderbare Diskussionen (in
einer seiner sieben Sprachen). Wir hatten die ganze Zeit herrliches
Wetter. Ich wurde vorher gewarnt, wir würden uns in eine fürchterliche
Kälte begeben; deshalb nahm ich einen ganzen Koffer mit Wollhemden
u.s.w. mit, wovon ich keines brauchte. Es war wärmer als in Mexico um
diese Jahreszeit. Überall wurde uns der rote Teppich ausgelegt, aber es
war eine Erlösung, als wir die schwere deutsche Küche durch die
wundervolle französische Küche und deren Weine ersetzen konnten. Auch
hatte ich vergessen welch schöne Stadt Paris ist. Mein Auftritt im
IRCAM war ebenfalls ein großer Erfolg. Der Saal war ausverkauft und die
Leute stürmten die Eingänge. Roger
(Reynolds) führte in meine Musik
ein, und am Schluss gab es mit ihm und Cage eine Podiumsdiskussion, die
nicht sehr erfreulich war, z.T. wegen der Sprachbarrieren, aber auch
wegen der französischen Neigung, die Zeit, die für Fragen und Antworten
vorgesehen ist, mit einer Fünf-Minuten-Vorlesung auszufüllen; und wenn
ich darauf hinwies, dies sei keine Frage gewesen, kam die Antwort, dies
sei auch nicht beabsichtigt gewesen.
Nancarrow äußerte sich
auch gegenüber Ligeti begeistert über die Europareise. Dabei
berichtete er hauptsächlich über das von IRCAM veranstaltete Konzert
in Paris, und er bedauerte, daß es die vielfältigen technischen Möglichkeiten
nicht schon früher gegeben habe.
"Dear
György: Greetings. What a wonderful trip, thanks mainly to you. Of
course for me the high point of the trip was meeting and being with you.
Yoko says that your mind and mine work the same way. The Paris concert
was a big success with many people turned away. The sound was fantastic.
I know you have reservations about IRCAM. I remember you said they had
not produced any composers. I have the impression that is not the object,
but to investigate techniques, which they are doing on a grandiose scale.
In the short time there I was given a sort of guided tour of the things
they are doing, and I was very impressed. Definitely if this sort of
thing had existed thirty years ago I would not have gone near a player
piano. These people want me to get involved in this whole new technique,
but now it is too late, for better or worse." (Brief
Nancarrow an Ligeti vom 30.11.1982. 227)
„Lieber
György: Herzliche Grüße. Was für eine wundervolle Reise, die ich
hauptsächlich Dir verdanke. Natürlich war für mich der Höhepunkt der
Reise, Dich zu treffen und mit Dir zusammen zu sein. Yoko meint, dass
Dein Verstand und mein Verstand in gleicher Weise arbeiten. Das Pariser
Konzert war ein großer Erfolg, wobei viele Leute keinen Einlass fanden.
Der Klang war hervorragend. Ich weiß, dass Du Vorbehalte gegenüber dem
IRCAM hast. Wie ich mich erinnere, meintest Du, sie hätten keinen
Komponisten hervorgebracht. Ich habe den Eindruck, dass dies nicht die
Absicht ist, sondern Techniken zu untersuchen, was sie in großem Umfang
tun. In der kurzen Zeit, die ich dort war, hat man mir einen guten Überblick
über die Probleme, die sie dort bearbeiten, gegeben, und ich war sehr
beeindruckt. Wirklich, wenn diese Dinge dreißig Jahre früher existiert
hätten, wäre ich nie auf das Player Piano verfallen. Diese Leute möchten,
dass ich mich mit den neuen Techniken beschäftige, aber nun ist es zu
spät - sei es nun gut oder schlecht.“
IRCAM machte Nancarrow
den Vorschlag, einen längeren Zeitraum am Pariser Institut zu arbeiten;
dieser Vorschlag ließ sich jedoch nicht realisieren.
Ehrungen
Ligeti, selbst vielfach
geehrt und dekoriert, schlug auch Nancarrow für bedeutende
Auszeichnungen vor, die oft mit beträchtlichen finanziellen Zuwendungen
verbunden waren. So befürwortete er z.B. die Verleihung des
MacArthur-Preises an Nancarrow. Diese mit insgesamt 300.000.--$ dotierte
Auszeichnung wurde Nancarrow 1982 zugesprochen und ermöglichte ihm fünf
Jahre ein sorgenfreies Leben. Sicherlich war das Urteil Ligetis
entscheidend für die Wahl Nancarrows. Er
erwähnte einmal: "I simply
wrote them that Nancarrow is the greatest living composer and together
with Ives the greatest American composer of all times. And they
understood my opinion." (Brief Ligetis an Nancarrow vom 18.4.1987.)
'Ich
habe ihnen einfach geschrieben, Nancarrow sei der größte lebende Komponist und
gemeinsam mit Ives der größte amerikanische Komponist aller Zeiten.
Und sie haben meine Ansicht verstanden.'
Dass der MacArthur-Preis
für Nancarrow geradezu lebenswichtig war, ergibt sich aus einer Notiz
an einen Freund: ‘Thanks to
MacArthur we may survive the desaster here.’
Ligeti setzte sich auch
vehement für die Verleihung des Grawemeyer-Preises an Nancarrow ein,
der zu diesem Zweck der Jury seine fünfsätzige Study for Player Piano
No. 45 (?) vorlegte, und
obwohl auch John Cage diese Nominierung unterstützte, wurde Nancarrow
nicht berücksichtigt. Ligeti, der selbst den Grawemeyer-Preis erhalten
hatte und zu dessen Verleihung im November 1986 in Louisville, Kentucky,
auch Nancarrow angereist war, um ihm zu gratulieren, bedauerte es sehr,
dass seinem Freund dieser Preis versagt wurde:
'Sorry,
but the Grawemeyer-thing didn't succeed. I fought strongly, but the
other jury members had very different judgement. If somebody deserves
this award, from all living composers, it's you. You know my unlimited
affection for your music.
(Brief Ligetis an Nancarrow,
18.4.1987. 719)
'Es
tut mir leid, aber die Grawemeyer-Angelegenheit klappte nicht. Ich habe
heftig gekämpft, aber die anderen Jury-Mitglieder hatten ein völlig
anderes Urteil. Wenn irgendjemand unter allen lebenden Komponisten diese
Auszeichnung verdient, dann bist Du es. Du kennst ja meine grenzenlose
Bewunderung für Deine Musik.'
Obwohl Nancarrow die
finanziellen Zuwendungen, die mit vielen Preisen verbunden waren,
dringend benötigte, stand er solchen Preisen doch mit einer ironische
Skepsis gegenüber, wie aus einem Brief, den er 1986 an einen Freund
schrieb, deutlich wird:
'I
don't want a Pulitzer. That is much fame and little money. I want little
fame and much money. My MacArthur will be running out soon. In N.Y. I
found out about a place called Foundation Center, which has a library on
just grants, with a staff of lawyers and advisers. Of the 25,000 or so
grants many would be of no use for you or me, but there must be quite a
few that would. You should look into this also. I am going to
investigate further, and if necessary make another trip to N.Y. to
pursue my new career of grantsmanship. I was talking with Cage and he
said he has recommended many people for the Guggenheim. Not long ago he
wrote them asking if a recommendation from him helped or hindered a
person. Naturally they did not answer.' (148)
'Ich will keinen Pulitzer Preis. Das ist
viel Ehre und wenig Geld. Ich möchte wenig Ehre und viel Geld. Mein
MacArthur-Stipendium geht bald zu Ende. In N.Y. entdeckte ich eine
Einrichtung, die sich Foundation Center nennt, und die über eine
Bibliothek über Ehrungen und Förderungen verfügt, mit einer
Belegschaft von Juristen und Ratgebern. Von den etwa 25.000 Preisen wären
viele für Dich oder mich nicht nützlich, aber einige von Nutzen für
uns müssten doch dabei sein. Du solltest einmal dort vorbeischauen. Ich
werde am Ball bleiben und falls notwendig, nochmals eine Reise nach N.Y.
machen, um meine neue Karriere als Preisjäger weiter zu verfolgen. Ich
habe mit Cage darüber gesprochen, und er meinte, er habe viele Leute für
den Guggenheim-Preis empfohlen. Vor kurzem schrieb er ihnen und fragte
nach, ob seine Empfehlung einer Person hilfreich oder hinderlich sei.
Sie antworteten natürlich nicht.'
Musik und Maschine - Nancarrow und Ligeti in
Köln
Conlon
und Yoko Nancarrow mit György Ligeti in der Kölner Philharmonie. Foto:
J. Hocker
Das
nächste Zusammentreffen beider Komponisten sollte 1988 stattfinden.
Wolfgang Becker-Carsten, Hauptabteilungsleiter für Neue Musik des WDR,
verfolgte seit mehreren Jahren die 'idée fixe', Nancarrows Studies for
Player Piano mit einem wirklichen selbstspielenden Klavier in Köln
vorzustellen. Alle öffentlichen Aufführungen hatten bisher mit Hilfe
von Tonbändern oder Schallplatten stattgefunden, weil kein geeignetes
Instrument zur Verfügung stand und Nancarrow sich beharrlich weigerte,
eines seiner Player Pianos für Konzerte herauszugeben. Der Autor dieses
Beitrags erwarb nun 1985 ein geeignetes Instrument - einen originalen
Ampico-Bösendorfer Selbstspielflügel von 1927. Nach aufwendiger
Restaurierung und Modifizierung nach den Wünschen Nancarrows konnte das
Vorhaben dann doch realisiert werden: Am 15. Oktober 1988 fand in der Kölner
Philharmonie die großartige Veranstaltungsreihe 'Musik und Maschine -
Nancarrow und Ligeti in Köln' statt, in der ein Überblick über das
Schaffen beider Komponisten gegeben wurde. Insbesondere Ligetis Études pour Piano, die - wie der Komponist freimütig zugibt - in
hohem Maße von Nancarrow beeinflußt wurden, gaben Einblick in die
musikalische Verwandtschaft beider Komponisten. Dies war umso
erstaunlicher, da bei dieser Veranstaltung auch einige
Wesensunterschiede deutlich zutage traten: Sowohl bei der
Pressekonferenz als auch bei einer Podiumsdiskussion, die einem der
Konzerte vorangestellt war, bestach Ligeti durch eingehende Analysen
seiner eigenen und Nancarrows Werke, betonte die 'Seelenverwandtschaft'
und brachte seine überschäumende Begeisterung für seinen Gesprächspartner
zum Ausdruck, während sich die Diskussionsbeiträge des wortkargen
Nancarrow auf 'yes', 'no' oder kurze Erläuterungen beschränkten.
Das
nächste Treffen sollte nur zwei Tage auf sich warten lassen: Ligeti
hatte sich aus Anlass seines 65sten Geburtstages ein Konzert mit
Nancarrows Musik gewünscht, das am 17. Oktober in der 'Opera Stabile'
der Hamburgischen Staatsoper stattfand.
Skeptisch
- amüsiert - heiter: der erfolgreiche Versuch, Nancarrow vor einem Plakat mit der Ankündigung des
Geburtstagskonzertes für Ligeti zu fotografieren. Hamburg 1988. Fotos: J. Hocker
Als
Geburtstagsüberraschung hatte Nancarrow eine Player Piano-Komposition
'For Ligeti' mitgebracht, die aus diesem Anlass uraufgeführt wurde.
Auch hier führte Ligeti in Nancarrows Werk ein, das wiederum 'live' auf
dem Bösendorfer Selbstspielflügel dargeboten wurde, und der Erfolg war
so überwältigend, daß das Konzert am späten Abend wiederholt werden
musste.
Ein
letztes Zusammentreffen in Europa sollte am 5. April 1989 in Wien
stattfinden. Im Rahmen des Festivals 'Töne und Gegentöne' während der
Wiener Festwochen fand ein 'live' - Player Piano-Konzert in Anwesenheit
Nancarrows statt. Für den folgenden Tag war eine Veranstaltung mit dem
aufwendigen Titel vorgesehen: Begegnung
mit Conlon Nancarrow - Eine Nachlese zum Konzert der Töne und Gegentöne
vom 4. April, bei dem Nancarrows Studies for player piano auf einem
speziell gebauten Bösendorfer Reproduktionsklavier vorgestellt wurden.
Dieses Publikumsgespräch sollte um 18.00 Uhr beginnen. Zu unserer großen
Überraschung erschien wenige Minuten vor Veranstaltungsbeginn György
Ligeti mit seinem Sohn Lukas. Die Annahme, Ligeti könne die Diskussion
dominieren, erwies sich allerdings als völlig unbegründet. Er setzte
sich in die letzte Reihe und griff nur hier und da einmal mit kurzen
Bemerkungen ein. Als Nancarrow z.B. erwähnte, dass er in den letzten
Jahren enorm viel Post bekäme, fragte Ligeti spontan: ‘Und, beantwortest Du die Post'? Worauf Nancarrow schlagfertig
meinte: ' Ein wenig mehr, als Du
es tust.' Dieses Zwiegespräch löste Heiterkeit aus, insbesondere
bei denen, die wussten, dass es nicht ganz einfach war, von Nancarrow
Post zu bekommen. Als Ligeti ihn fragte, ob das plötzliche Interesse an
seiner Musik sein Leben nicht sehr verändert habe, meinte Nancarrow: 'No,
I get used to it, but I try to keep my isolation in Mexico.'
'Nein, ich gewöhne mich langsam daran,
aber ich versuche, meine Abgeschiedenheit in Mexico beizubehalten.’
Bei
einem gemeinsamen Abendessen in kleinem Kreise in einem Wiener Spezialitätenrestaurant
ergaben sich interessante Diskussionen u.a. über die Interpretation
zeitgenössischer Kammermusik.
Von
links: György Ligeti, Yoko Nancarrow, Jürgen Hocker, Lukas Ligeti und
Gieselher Smekal (verdeckt) sowie Conlon Nancarrow, in einem Restaurant in Wien, 1989. Foto:
Beatrix Hocker.
Während
Ligeti dem Kronos-Quartett den Vorzug gab, setzte Nancarrow auf das
Arditti-Quartett und meinte, dieses könne einfach alles spielen. Nicht
ohne Stolz berichtete Nancarrow von den Wiener Konzertkritiken, in denen
er in einer Überschrift sogar mit Bach und Glenn Gould in einem Atemzug
genannt wurde, zwei Musiker, die er über alles schätzte; und er erwähnte
eine andere Rezension, in der auf das Buch 'Gödel, Escher und Bach'
verwiesen wurde, eines von Nancarrows Lieblingsbüchern, das auch Ligeti
wohlbekannt war, obwohl dieser meinte, er habe nie die Zeit gefunden,
das Buch vollständig zu lesen.
Wieder
einmal mehr zeigte sich das hervorragende Verständnis beider
Komponisten für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Ligeti
interessierte sich für die chemischen Forschungsarbeiten des Autors und
er erwies sich als kompetenter Gesprächspartner mit hervorragenden
chemischen Kenntnissen. Anläßlich eines Zusammentreffens in Köln 1995
verblüffte Ligeti den Autor sogar, indem er das Periodensystem der
Elemente aus dem Gedächtnis aufsagen konnte - eine Leistung, mit der
selbst mancher Naturwissenschaftler überfordert ist.
Ligeti und das Player
Piano
Ligeti
verfolgte die Bemühungen des Autors um Aufführungen von Nancarrows
Player Piano-Kompositionen von Anfang an mit großem Interesse. Bereits
bei den ersten Treffen 1988 in Köln und Hamburg äußerte er den
Wunsch, einmal Nancarrow Studies für zwei Player Pianos 'live' auf zwei
Selbstspielklavieren zu hören. Am 1.3.1989 schrieb er dem Autor
‘...ich freue mich sehr, dass Sie noch
immer nach einem zweiten Flügel suchen. Überhaupt schätze ich alles,
was Sie machen sehr, nicht nur für Nancarrow, sondern für die
Erhaltung und Pflege alter mechanischer Instrumente. ...Ich hätte großes
Interesse, "Désordre" als "Study for player piano"
zu hören. Falls es gelingt, wäre ich für eine Kassette sehr dankbar.'
Zwei Jahre später war es möglich, ein geeignetes zweites Instrument zu
erwerben, einen Ampico Fischer-Selbstspielflügel, dessen Intonation
recht gut zu dem Ampico Bösendorfer-Instrument passte. Nach der
Entwicklung einer Computersteuerung konnten Nancarrow Studies für zwei
Player Pianos erstmals auf zwei exakt synchronisierten Instrumenten
aufgeführt werden: Die Studies for two Player Pianos No. 40a und b sowie
48a-c wurden anläßlich der Donaueschinger Musiktage 1994 und 1997
uraufgeführt.
Die
beiden selbstspielenden Flügel von J. Hocker bei den Donaueschinger
Musiktage 1994. Foto: J. Hocker.
Ligetis
Verehrung für Nancarrow äußerte sich nicht zuletzt darin, daß er die
Übertragung einiger seiner besonders schwierigen Études pour Piano auf
das Player Piano wünschte. Auf die Frage, ob er denn nicht befürchte,
statt eines 'ersten' Ligeti ein zweiter Nancarrow zu werden, meinte er: 'Für
mich wäre es eine Ehre, ein zweiter Nancarrow zu werden.'
Unvorhersehbare
Umstände führten sogar dazu, dass Ligetis extrem anspruchsvolle Etüde
No.9, Vertige, sogar ihre Uraufführung auf einem Player Piano erlebte.
Dieses Werk war Mauricio Kagel gewidmet und sollte anläßlich eines
Festkonzerts zu seinem 60. Geburtstag am 19. Januar 1992 in der Kölner
Philharmonie uraufgeführt werden. Bedauerlicherweise erlitt der
Pianist, dem die Uraufführung zugedacht war, kurz zuvor einen Unfall,
so dass er das Werk nicht einüben konnte. So war es ein glücklicher
Zufall, dass kurz zuvor die Übertragung der Komposition auf
Lochstreifen beendet wurde, so dass bei dem Konzert das Player Piano
hilfreich einspringen konnte.
György
Ligeti gibt J. Hocker einige Hinweise zur Uraufführung seiner Étude
pour Piano No. 9 (Vertige), die anläßlich von Kagels 60. Geburtstag in
der Kölner Philharmonie uraufgeführt wurde.
Foto: Louise Duchesneau.
Ligeti
geht bei seinen Kompositionen oft bis an die Grenze des Möglichen - in
seiner vierzehnten Klavieretüde hat er diese Grenzen offensichtlich überschritten:
Sie geriet für einen Pianisten nahezu unspielbar. Er widmete sie
daraufhin dem Player Piano und schrieb eine zweite, erleichterte Fassung
für Pianisten, allerdings nicht ohne auf der ersten Partitur zu
vermerken: ‘...die Aufführung durch einen lebendigen Pianisten ist ebenfalls möglich
- bei entsprechendem
Arbeitsaufwand.' Die Originalfassung für Player Piano wurde
ebenfalls anläßlich der Donaueschinger Musiktage 1994 uraufgeführt.
Partiturseite
von Ligetis Étude pour Piano No. 14a mit handschriftlichen Anmerkungen
des Komponisten zur Übertragung in eine Version für Player Piano.
Nachdem
zwei synchronisierte Player Pianos zur Verfügung standen, wünschte
Ligeti auch die Übertragung einiger besonders geeigneter Kompositionen
auf zwei Player Pianos. Geradezu prädestiniert war sein bereits 1968
entstandenes Continuum, das
wegen der extrem schnellen Tonrepetitionen nur auf einem zweimanualigen
Cembalo aufführbar war. Eine Bearbeitung seiner Kompositionen für zwei
Klaviere Monument, Selbstportrait, Bewegung wurde 1997 in Donaueschingen
uraufgeführt. Wie sehr Ligeti die Player Piano-Transkriptionen schätzt,
folgt daraus, dass er sie in die von Sony Classical herausgegebenen
Aufnahmen seines Gesamtwerkes integriert hat.
Ligeti
fühlte sich Nancarrows Musik so sehr verbunden, dass er sich in
Konzerten, die eigentlich seiner eigenen Musik vorbehalten sein sollten,
häufig auch Kompositionen Nancarrows wünschte. So wurde im Oktober
1994 die Uraufführung seiner zehnten und elften Klavieretüden anläßlich
der musica 94 in Straßburg mit Nancarrows Player-Piano-Studies
kombiniert. Im März 1995 fand im Rahmen der WDR-Veranstaltungsreihe
‘Musik der Zeit’ ein Konzert im großen Sendesaal des Funkhauses
statt, im dem neben den Klavieretüden Ligetis erstmals Nancarrows Study
for two Player Pianos No. 41 aufgeführt wurde. Im Mai 1996 erklangen im
Rahmen des Internationalen Bodensee-Festivals in Ravensburg Klavieretüden
Ligetis für Live-Klavier und in Player Piano-Bearbeitungen neben
Studies von Nancarrow für ein und zwei Player Pianos. Bei all diesen
Veranstaltungen ließ Ligeti es sich nicht nehmen, persönlich anwesend
zu sein. Aus Ravensburg schickte er einen Gruß an Nancarrow, der zur
damaligen Zeit schon krank war: ‘...Wir
sind in Süddeutschland mit einem WUNDERBAREN Konzert mit 40a, 40b und
vielen anderen Stücken. Die LEBENDIGEN Player Pianos sind doch besser
als Aufnahmen...’
Dear
Yoko, dear Conlon, we are in South Germany with a WONDERFUL concert with
40a, 40b and many other pieces. The LIVING (i.e. nit virtual) player
pianos are better than a recording. I hope that you are in better health!.
(Ligeti an Nancarrow nach einem
Konzert in Ravensburg am 7.5.1996. 639.)
Anläßlich
einer umfangreichen Konzertreihe zu Ehren Ligetis im Königlichen
Musikkonservatorium Den Haag im Februar 1996 wünschte sich Ligeti sogar
ein ganzes Nancarrow-Konzert. Damals schrieb er: ‘Liebe Yoko, lieber Conlon, hier in Den Haag veranstaltete Jürgen
Hocker ein FANTASTISCHES Konzert mit 2 Player Pianos und spielte Deine
3a, 25, 40b, 41a,b,c etc. etc. und einige meiner Klavieretüden, die er
stanzen ließ... Ich bin über diese Möglichkeit NANCARROW und Ligeti
zu kombinieren, sehr glücklich; viele andere Komponisten hassen
einander, und deshalb wissen sie nicht, was QUALITÄT ist...’
Dear
Yoko, dear Conlon, here in Den Haag Jürgen Hocker made a FANTASTIC
concert playing on 2 player pianos your 3a, 25, 40b, 41a,b,c, etc etc
and some of my piano studies which he let punch (or through computer). I
am very happy with all these possibilities, combining NANCARROW and
Ligeti (all other composers hate each other reciproque, and therefore
they don’t know what QUALITY is). I worry much over your health - I
wish you should become TOTALLY OK - but I hope you Yoko, you Maco, you
are well. Conlon I follow you in age. With all my love yours György. (Ligeti an Nancarrow nach dem
Konzert am 5.2.96 in Den Haag.)
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