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Das Ampico-Klavier
Das Ampico-System
Möglichkeiten und Grenzen für Komponisten
Nancarrows Player Pianos - Präparierung der Hämmer
Der Ampico-Flügel des
Autors - Suche und Restaurierung
Das
Ampico-System
Das
System der American Piano Company
‘Ampico’
soll an dieser Stelle etwas ausführlicher beschrieben werden, da
Nancarrow zur Wiedergabe seiner Kompositionen ausschließlich Klaviere mit
einem Ampico-Einbau benutzte. Er besaß in seinem schalldichten Studio in
Mexico City bereits mehrere Ampico-Instrumente; zuletzt verwendete er zwei
Marshall-und Wendell-Klaviere mit Ampico-Mechanismus.
Eines der beiden von Nancarrow benutzen Marshall & Wendell
Ampico Player Pianos mit geöffnetem Oberteil. In der Mitte befindet sich
der Notenrollenkasten, in dem der Lochstreifen abgelesen wird. Rechts
daneben ist der Windmotor mit drei sinnvoll angeordneten Bälgen sichtbar,
der die Notenrolle antreibt.
Foto: Jürgen Hocker.
Das
Ampico war neben dem Duo Art das in den USA am weitesten verbreitete
Reproduktionssystem. Am 8.0ktober 1916 wurde es im Hotel Biltmore in New
York City der Öffentlichkeit vorgeführt. Bei dieser Präsentation
spielte der damals gefeierte Pianist Leopold Godowsky zwei Kompositionen,
die anschließend von dem Ampico-Klavier mit Hilfe einer zuvor von
Godowsky eingespielten Notenrolle wiedergegeben wurden; selbst kritische
Zuhörer glaubten keinen Unterschied zwischen dem Livespiel und der
Tonkonserve feststellen zu können.
1920
kam ein verbessertes Modell, das Ampico A, auf den Markt, das 1929 vom
Ampico B-Modell abgelöst wurde. Der wichtigste Unterschied bestand in
einer verbesserten Dynamik.
Ampico-Modelle
verfügen über sieben definierte Lautstärkestufen sowie eine
Crescendo-Einrichtung. Letztere kann mit zwei verschiedenen
Geschwindigkeiten arbeiten, die von der Notenrolle gesteuert werden. Durch
geschickte Kombination von definierter Lautstärke und Crescendo-Befehl
lassen sich alle Lautstärke-Nuancen zu jedem beliebigen Zeitpunkt
erzielen. Auch das Ampico A verfügt - wie fast alle reproduzierenden
Systeme - über zwei Dynamik-Einrichtungen, die die Bass- beziehungsweise
Diskanthälfte des Klaviers unabhängig voneinander steuern können.
Gleitblock des Ampico-Klaviers. An beiden Seiten des
Gleitblocks (bzw. der Notenrolle) befinden sich die Lochungen für die
Betonungs- und Pedalbefehle.
Im
Gegensatz zu den anderen Systemen, bei denen sich die Abspielvorrichtung für
die Notenrolle im oberen Teil des Instrumentes befand, war diese bei
Ampico-Flügeln in einer Schublade unterhalb der Klaviatur angeordnet.
Selbstverständlich sind alle Ampico-Instrumente auch von Hand spielbar.
Beim Ampico-Flügel befindet sich der Notenrollenkasten in einer
Schublade unterhalb der Klaviatur. Mit den auf der linken Seite
angebrachten Hebeln kann man Einfluss auf die Dynamik und die Pedalbetätigung
nehmen. Foto: Heinrich
Mehring
Die
einsetzende Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre führte zu einer
schnellen Depression auf dem Klaviermarkt, die 1932 zum Zusammenschluss
der beiden größten Firmen für Selbstspielklaviere in den USA, der
Aeolian Company (Duo-Art) und der American Piano Company (Ampico) führte.
Ampico-Systeme
wurden bevorzugt in hochwertige Klaviere und Flügel eingebaut. Dies waren
unter anderem Knabe, Chickering, Marshall & Wendell, Manson &
Hamlin, Franklin und - nach dem Zusammenschluss mit Aeolian - auch
Steinway, Weber und Steck, die vorher einen Exklusiv-Vertrag mit Aeolian
hatten. In England waren Broadwood, Chapell, Marschall & Rose
bevorzugte Klaviermarken, in Deutschland und Österreich Grotrian Steinweg
sowie - als Spitzenmodell - Bösendorfer.
Berühmte
Interpreten, die bei Ampico unter Vertrag standen, waren Eugen d'Albert,
Harold Bauer, Wilhelm Backhaus, Alexander Brailowsky, Ferruccio Busoni,
Leopold Godowsky, Mark Hambourg, Sergej Rachmaninoff, Artur Rubinstein, Camille Saint-Saëns
und Alexander Skrjabin.
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Möglichkeiten und Grenzen des Player
Pianos
Das
pneumatische Selbstspielklavier verfügt über beträchtliche technische Möglichkeiten,
die kein - auch noch so perfekter - Pianist erreichen kann. Der Komponist,
der für das Selbstspielklavier als Wiedergabeinstrument schreibt, kann
seine Werke ohne Rücksicht auf die anatomischen Gegebenheiten der
Pianistenhände gestalten: ein Pianist kann gleichzeitig nur eine
begrenzte Zahl von Tönen anschlagen. Beim Selbstspielklavier können zur
gleichen Zeit beliebig viele Töne in beliebigen Regionen der Klaviatur
angeschlagen werden. Eine Limitierung stellt lediglich die Leistung des
Vakuumgebläses dar, die jedoch entsprechend erhöht werden kann.
Tonfolgen
lassen sich mit ‘unspielbaren’ Geschwindigkeiten realisieren, die das
Auflösungsvermögen des Ohres bei weitem übersteigen. Desgleichen können
Tonsprünge ohne Rücksicht auf pianistische Treffsicherheit perfekt
reproduziert werden. Ein rasendes doppelhändiges Oktav- oder Dezimspiel
sowie Oktavglissandi und chromatische Glissandi lassen sich mit dem
Selbstspielklavier problemlos ausführen. Ein weiterer Vorteil liegt in
der exakten Gleichmäßigkeit des Tonanschlages ohne pianistische
Ungenauigkeiten. Die Repetitionsfähigkeit eines Tones wird bei einem
perfekt eingestellten Wiedergabeinstrument lediglich durch die
Möglichkeiten der Klaviermechanik begrenzt. Der Komponist ist darüber hinaus frei in der Wahl seiner
Tempi, die auf der Notenrolle exakt festgelegt und jederzeit
reproduzierbar sind. Komplizierteste Metren und Rhythmen lassen sich mit
absoluter Präzision wiedergeben, eine Möglichkeit, von der Nancarrow in
reichem Maße Gebrauch gemacht hat.
Auch
bezüglich der Dynamik (vgl. auch Nancarrows Arbeitsweise)
hat der Komponist nahezu freie Hand: Die meisten
Instrumente verfügen entweder über eine stufenlose Dynamik von pp
bis ff oder über eine Vielzahl diskreter Lautstärkestufen (zum
Beispiel 16 beim Duo-Art-System), was ebenfalls einem kontinuierlichen
Lautstärkespektrum nahe kommt. Dennoch ist die Dynamik ein Schwachpunkt
des Systems, und das Festlegen exakter Lautstärken ist problematisch: Die
Lautstärke hängt von der Höhe des Vakuums ab, das man durch
entsprechende Lochungen auf der Notenrolle steuern kann. Andererseits wird
das Vakuum auch von der Anzahl der angeschlagenen Töne pro Zeiteinheit
beeinflusst, da bei einer Vielzahl gespielter Töne das Vakuum abnimmt
(‘verbraucht’ wird), bis die Pumpe wieder ein ausreichendes Vakuum zur
Verfügung stellt. Ein Komponist muss also berücksichtigen, dass die
Lautstärke nicht zwangsläufig mit der Anzahl der angeschlagenen Töne
zunimmt, sondern im Grenzfall wegen des Zusammenbrechens des Vakuums sogar
abnehmen kann.
Eine
weitere Limitierung bezüglich der Dynamik stellt die Windlade dar: Sie
dient quasi als ‘Reservoir’ für das Vakuum, das die Tonbälge leer
saugt. Werden nun zwei oder mehrere Töne gleichzeitig betätigt, so
werden die entsprechenden Tonbälge durch exakt das gleiche Vakuum leer
gesaugt, das heißt, gleichzeitig erklingende Töne haben die gleiche
Lautstärke. Die meisten Instrumente verfügen jedoch über eine geteilte
Windlade, die durch zwei verschiedene Vakua gespeist werden kann. Die
Teilung liegt beim Ampico zwischen e’ und f’, sodass von e’ an abwärts und von f’ an aufwärts gleichzeitig mit unterschiedlichen Lautstärken
gespielt werden kann. Dies genügt häufig zum klaren Hervorheben einer
Melodie im Bass oder Diskant. Innerhalb einer Klaviaturhälfte erklingen
jedoch nach wie vor alle Töne eines Akkordes mit gleicher Lautstärke.
Ein geschickter Arrangeur oder Notenstanzer hat jedoch die Möglichkeit,
einzelne Töne hervorzuheben: Er setzt entweder die Lochung für einen Ton
- etwa eines Dreiklanges - um den Bruchteil einer Sekunde vor die beiden
anderen Töne; dies wird natürlich akustisch als Vorschlag wahrgenommen
und ist oft unerwünscht; oder er setzt die Lochung für den zu
akzentuierenden Ton ein kurzes Stück hinter die der beiden anderen Töne
und koppelt ihn mit dem Befehl einer größeren Lautstärke, das heißt
mit höherem Vakuum. Die Hämmer für die beiden leise zu spielenden Töne
bewegen sich nun ‘langsam’ zur Klaviersaite, da die Tonbälge nur an
ein geringes Vakuum angeschlossen werden. Der Balg für den zu
akzentuierenden Ton wird nun kurz darauf durch ein höheres Vakuum
leergesaugt, und dieser Hammer eilt nun mit größerer Geschwindigkeit den
anderen hinterher, sodass im Idealfall alle drei Hämmer gleichzeitig die
Saiten anschlagen - einer davon jedoch mit größerer Lautstärke.
Möglicherweise
ist die schwierige Beherrschung der Dynamik mit ein Grund dafür, dass
Nancarrow in seinen Studies for
Player Piano ausschließlich Terrassendynamik benutzte.
Ohne
Zweifel ist ein guter Interpret in der Verwendung dynamischer
Variationsmöglichkeiten dem Selbstspielklavier überlegen. Ein Vorteil des
Letzteren besteht jedoch darin, dass eine einmal festgelegte Dynamik
beliebig oft exakt reproduzierbar ist.
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Nancarrows Player Pianos
Zur Präparierung
der Klavierhämmer
Nancarrow besaß zuletzt zwei Ampico-Player-Pianos der Klaviermarke
Marshall & Wendell. Zur Aufnahme wurde die Vorderfront entfernt. In
der Mitte befindet sich der Notenrollen-Kasten, links der Windmotor. Fotos
Jürgen Hocker (l) und Jörg Borchardt.
Um
eine höhere Transparenz bei der Wiedergabe seiner zum Teil sehr komplexen
und mit rasenden Geschwindigkeiten gespielten Kompositionen zu erzielen,
hatte Nancarrow schon sehr früh Versuche zur Präparierung der Hämmer
unternommen. Sein Klangideal war ein möglichst präziser, harter, fast
metallischer und Cembalo-ähnlicher Anschlag. Er war z.B. fasziniert von
dem Klang der Mandolineneinrichtung, die sich in frühen elektrischen
Wirtshausklavieren befand. Beim ‘Einschalten’ der Mandoline wurde eine Leiste mit kleinen Lederstreifen, die
ihrerseits mit einem waagerecht angebrachten Metallstreifen versehen
waren, zwischen die Hämmer und die Saiten herabgesenkt. Die Hämmer
schlugen auf die Lederstreifen und durch das Schwingen des Metallstreifens
gegen die Saiten wurde ein Mandolinen-ähnlicher Klang erzeugt. Einen großen
Vorteil sah Nancarrow in der Möglichkeit, den Mandolinenklang je nach
Bedarf ein- und auszuschalten und auf diese Weise zwei Klangfarben in
einem Instrument zu vereinen. Bei dem Versuch, diese Mandolineneinrichtung
in seine Klaviere einzubauen, scheiterte er an technischen Problemen: Die
Lederstreifen verfingen sich - insbesondere bei lautem Spiel - zwischen
den Saiten, sodass die entsprechenden Töne nicht mehr sauber angeschlagen
werden konnten.
Später
härtete Nancarrow die Filzhämmer durch Tränken mit Lack. Die
Tonaufnahmen der Studies for Player
Piano No. 1, 2, 4, 5, 6 und 7 für das Ballett ‘Crises’ in den
sechziger Jahren, die von John Edmunds, einem Bibliothekar der New Yorker
‘Public Library’, an John Cage und Merce Cunningham weitergegeben
wurden (darüber wird später noch berichtet werden), sind mit einem
Klavier gemacht worden, das mit Lack getränkte Hämmer besaß. Danach
experimentierte Nancarrow mit Hammerköpfen, bei denen die Filzauflage
vollständig entfernt war, sodass der Holzkern die Saiten anschlug.
In
den letzten Jahren verwendete er zwei Marshall- und Wendell-Klaviere, die
unterschiedlich präpariert waren. Eines dieser Klaviere besaß hölzerne
Hammerköpfe (der Filz war vollständig entfernt), wobei die Holzkerne vom
Bass bis zum Diskant von gleicher Größe und mit einem Metallstreifen überzogen
waren. Nancarrow hatte bei dieser Präparierung allerdings das Problem,
dass viele Saiten rissen. Deshalb ist bei diesem Instrument das linke
Pedal permanent gedrückt, sodass die Hammerleiste näher an die Saiten
herankommt und somit der Hammerweg kürzer und der Anschlag auf die Saiten
weniger aggressiv ist.
Hammerpräparierung von Nancarrows Klavier No. 2: Die Hammerfilze wurden
vollständig entfernt und die Holzkerne mit Blechstreifen überzogen.
Foto: Jürgen Hocker
Beim
zweiten Klavier wurden die Filzköpfe mit Lederstreifen überzogen, auf
denen Nancarrow Metallteile anbrachte. Während bei den tiefen einchörigen
Tönen ein rundes Metallteil - ähnlich einem Polsterernagel - eingesetzt
ist, sind bei den höheren zwei- und mehrchörigen Tönen flache
Metallstreifen auf das Leder aufgeleimt. Dieses Klavier hat einen weniger
aggressiven Klang als das zuvor beschriebene. Nancarrow erwähnte später
mehrfach, ihm sei die Art der Präparierung ziemlich gleichgültig.
Wesentlich sei, dass die Hammerköpfe hart seien und der Klang auch bei
sehr schnellen Tonfolgen transparent bleibe.
Die Hammerpräparierung in Nancarrows Klavier No. 1: Im Bassbereich
wurden die Hammerfilze mit einem Lederstreifen überzogen, in die
Metallnägel eingesetzt wurden. Im Diskantbereich wurden statt der
Metallnägel schmale Metallstreifen auf den Lederstreifen aufgebracht.
Foto: Jörg Borchardt.
Der Autor verwendete bei seinem
Ampico-Bösendorfer-Flügel ursprünglich eine 'Metallpräparierung'
ähnlich den Nancarrow-Klavieren. Auf Anraten Nancarrows wurde diese
Präparierung jedoch durch hart intonierte normale Hammerköpfe aus Filz
ersetzt. Vgl. hierzu Nancarrows Brief
an den Autor.
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Der
Ampico-Bösendorfer Flügel des Autors
Ampico-Bösendorfer Selbstspielfügel von 1927. Der
Notenrollenkasten zum Abtasten des Lochstreifens befindet sich in einer
herausziehbaren Schublade unterhalb der Tastatur. Mit Hilfe der Hebel
lassen sich die Geschwindigkeit, die Dynamik und die Pedalbetätigung
beeinflussen. Foto:
Jürgen Hocker
Die Suche
Fasziniert
von Nancarrows Player Piano-Musik, die nur von Tonbändern aufführbar
war, entschloss ich mich um 1983, nach einem geeigneten Instrument
Ausschau zu halten, um dies für Konzertveranstaltungen zur Verfügung
zu stellen. Je mehr ich mich mit der Person und dem Werk Nancarrows
beschäftigte, umso wichtiger erschien es mir, diese Kompositionen quasi
‘live’ auf einem Originalinstrument den Konzertpublikum zugänglich
zu machen.
Da
das Ampico-System in den zwanziger Jahren in den USA produziert und auch
nahezu ausschließlich dort verkauft wurde, wäre ich am besten in
Amerika auf die Suche nach einem solchen Instrument gegangen - dies
wäre allerdings mit hohen Kosten verbunden gewesen. Nach langer Suche
erfuhr ich von der Existenz eines geeigneten Instruments in der Nähe
von Antwerpen. Da ich mir selbst keine fachgerechte Beurteilung zutraute,
bat ich Jörg Borchardt, den Restaurator, der meine Klaviere betreute,
zur Besichtigung des Instrumentes mitzufahren.
Jörg
Borchardt bei der Restaurierung von Nancarrows Klavieren in Mexico,
1989. Foto: Yoko Nancarrow
Jörg
Borchardt, ein junger Mann Anfang Zwanzig, war trotz
seiner Jugend einer der tüchtigsten Restauratoren für pneumatische
Musikinstrumente in Deutschland. 1979 hatte ich über eine
Zeitungsannonce in Köln mein erstes selbstspielendes Klavier erworben.
Es handelte sich um eine Phonola, ein Klavier, das über Fußtritte
betrieben wird. Das betagte Instrument bedurfte dringend einer
Restaurierung, d.h. die Bälge und Ventile waren undicht und mussten
erneuert werden. Ich lernte Jörg Borchardt 1980 kennen, als ich in der
Werkstatt eines Orgelbauers in Schwelm mein erstes mechanisches Klavier
restaurierte. Jörg Borchardt war damals Lehrling in dieser
Orgelbauwerkstätte. Als ich im selben Jahr zum Vorsitzenden der
‘Gesellschaft für Selbstspielende Musikinstrumente’ gewählt wurde,
konnte ich die Zeit für die Restaurierung nicht mehr aufbringen, und Jörg
Borchardt beendete die von mir begonnene Arbeit. Da er sich sehr für
pneumatische Klaviere interessierte, schloss er an die Orgelbaulehre
noch eine Klavierbaulehre an. Somit hatte er die idealen Voraussetzungen
zum Restaurator für pneumatische Instrumente. Ich erwarb in den
Folgejahren mehrere unrestaurierte selbstspielende Klaviere und traf nun
mit Jörg eine Vereinbarung, die, wie mir schien, für beide Teile
sinnvoll und nützlich war. Er restaurierte meine Instrumente ohne jeden
Zeitdruck und ohne Erfolgsgarantie; so hatte er Gelegenheit, alle
wichtigen pneumatischen Systeme gründlich kennen zu lernen. Im Gegenzug
berechnete Jörg, der sich inzwischen als Restaurator selbständig
gemacht hatte, mir dafür einen akzeptablen Sonderpreis.
Bezeichnend
für Jörgs Charakter waren seine absolute Ehrlichkeit und die für
seine Jugend überraschende Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit. Kündigte
er z.B. seinen Besuch bei mir für eine bestimmte Zeit an, so konnte man
die Uhr danach stellen, obwohl er eine Anfahrt von fast einer Stunde
hatte.
Ende
Januar 1986 begaben sich nun Jörg und ich auf den Weg nach Belgien.
Kurz vor Antwerpen, in dem Städtchen Boom, wohnte der Besitzer des
Ampico-Flügels. Es handelte sich um einen Geschäftsmann, der neben
diesem Flügel noch mehrere selbstspielende Instrumente - darunter auch
eine Karussellorgel - besaß. Er führte uns zu einem großen Lagerraum,
und ich traute meinen Augen kaum: In der Ecke stand ein schwarzbraunes
Ungetüm, das kaum als Flügel zu identifizieren war. Es stand auf der
Seite, die Beine waren abgeschraubt. Das Furnier hing in Fetzen
herunter, die Saiten waren verrostet und zum Teil gerissen; der
Resonanzboden war gesprungen, die Filze hatten sicherlich Generationen
von Motten zum Überleben gedient. Jörg sah wohl die Enttäuschung auf
meinem Gesicht, und er meinte nur lakonisch: ‘Abwarten’. Er begann
wortlos mit einer genauen Inspektion des Instrumentes, wobei er
insbesondere der Pneumatik seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Als er
nach einiger Zeit von Spinnweben umrankt wieder auftauchte, hatte er
einen zufriedenen Gesichtsausdruck und meinte, es handele sich immerhin
um einen Bösendorfer Flügel. Die Pneumatik müsse zwar von Grund auf
restauriert werden, sie sei aber vollständig und vor allem noch
‘unberührt’.
Das Schlimmste, was einer solchen Pneumatik passieren könne, sei, wenn
sie von einem Dilettanten ‘restauriert’ würde. In aller Regel sei
dies mit kaum wieder zu behebenden Schäden verbunden. Jörg meinte, er
würde sich die Restaurierung dieser Pneumatik zutrauen. Darüber hinaus
sei die Restaurierung des Klavierteiles, insbesondere das Ausspänen des
Resonanzbodens und das Aufziehen neuer Saiten, nicht problematisch. Die
Klaviermechanik könne man in einer Mechanikfabrik überholen lassen,
und das Gehäuse des Flügels lasse sich ebenfalls wieder, wenn auch mit
nicht gerade geringem Aufwand, in Ordnung bringen. Nun, meine Enttäuschung
wich einer hoffnungsfrohen Erwartung. Als der Besitzer dann noch erwähnte,
dass zu diesem Instrument fast 400 Notenrollen gehörten, die zwischen
1905 und etwa 1920 von den bedeutendsten Pianisten der damaligen Zeit
eingespielt worden sind, stand mein Entschluss, das Instrument zu
erwerben, fest, zumal mir der Preis durchaus akzeptabel schien. Wir
fuhren mit gemischten Gefühlen zurück: Zum einen waren wir einen
Schritt weitergekommen, zum anderen standen wir vor vielen neuen
Problemen, von denen wir noch nicht genau wussten, ob und wie sie zu lösen
waren. Da aber auf Jörgs Urteil bisher immer Verlass war, blickte ich
voll Zuversicht in die Zukunft.
Die Restaurierung
Bei
dem erworbenen Instrument handelte es sich um einen Bösendorfer-Flügel
von 1927 mit einer Selbstspielpneumatik der American Piano Company
(Ampico). In
der folgenden Woche holte Jörg den Flügel in Belgien ab. Nun begann
die mühselige, zeitaufwendige Arbeit der Restaurierung. Jörg entfernte
die gesamte Pneumatik, und das Instrument wurde zu einem Klavierbauer
gebracht, der sich auf die Restaurierungen alter Instrumente
spezialisiert hatte. Dieser weidete den Flügel im wahrsten Sinne des
Wortes aus: Klaviermechanik, Tasten, Saiten, alle Filze wurden entfernt
und der Resonanzboden wurde ausgespänt und neu lackiert. Das
Mahagoni-Gehäuse - als solches wurde es erst nach gründlicher
Reinigung erkennbar - wurde restauriert, der Stahlrahmen abgebeizt und
neu bronziert, alle Filze erneuert, neue Stimmnägel eingeschlagen und
neue Saiten aufgezogen. Selbst die Rollen an den sechs Füßen wurden
neu vergoldet. Als Nächstes stand die Klaviermechanik an. Da ich mir in
den Kopf gesetzt hatte, das Instrument optimal restaurieren zu lassen,
kam hierfür nur die Herstellerfirma in Frage, die Firma Renner in
Stuttgart. Gleichzeitig ließen wir bei Renner eine exakte Kopie der
Hammerleiste anfertigen, da wir ja zur Präparierung, d.h. zur Belegung
der Hämmer mit Metallplättchen (analog den Nancarrow-Klavieren) einen
zweiten Satz an Hammerköpfen benötigten. Auf diese Weise konnte durch
Lösen von nur wenigen Schrauben die gesamte Hammerleiste ausgetauscht
werden.
Es
war ein Festtag für uns, als nach monatelanger Arbeit der restaurierte
Bösendorfer in unser Wohnzimmer gebracht wurde. Ein wahres Meisterstück
stand vor uns. Rahmen, Klaviersaiten und Elfenbeintasten blinkten, das
Furnier, zum Teil erneuert, glänzte im neuem Lack. Ich wollte kaum
glauben, dass es sich um das gleiche Instrument handelte, das ich in
solch desolatem Zustand gesehen hatte. Ein anderer Klavierbauer, der
sich auf Regulierung der Mechanik und Intonation spezialisiert hatte,
justierte nun in mehrtägiger Arbeit die Hämmer der unpräparierten
Hammerleiste und intonierte sie auf meinen Wunsch sehr hart. Nun begann
Jörg mit der Restaurierung der Pneumatik - eine Arbeit, die wiederum
mehrere Monate in Anspruch nahm.
Die
gesamte Dauer der Restaurierung erstreckte sich auf weit über ein Jahr.
Man kann sich unschwer vorstellen, welches Erlebnis es war, als das
Instrument zum ersten Mal nach vielen Jahren des Schweigens wieder eine
Notenrolle selbsttätig abspielte. (Leider standen uns zum damaligen
Zeitpunkt keine Notenrollen von Nancarrow zur Verfügung, sodass wir auf
die Interpretationen der Pianisten der Jahrhundertwende zurückgreifen
mussten.) Die Tasten bewegten sich wie von unsichtbarer Hand gespielt,
die Läufe perlten gleichmäßig, und die Dynamik umfasste den gesamten
Bereich zwischen Pianissimo und Fortissimo. Hätte das Instrument hinter
einem Vorhang gespielt - ein unvorbereiteter Zuhörer hätte es für das
live-Spiel eines Pianisten gehalten. Besonders beeindruckt war ich von
der Intonation: Sie verlieh dem Instrument einen brillanten Klang,
so dass selbst hochvirtuose Passagen noch klar und durchsichtig blieben.
Unterseite des Ampico-Bösendorfer Selbstspielflügels. Von
dem im vorderen Teil in einer Schublade untergebrachten
Notenrollenkasten führen Luftleitungen zur Windlade, die über die
gesamte Breite des Instrumentes angeordnet ist und (nicht sichtbar) über
achtzig Tonbälge enthält. Im hinteren Teil befindet sich rechts oben
der Motor, der das darunter liegende Gebläse über ein Schwungrad
antreibt. Zwischen Windlade und Gebläse befinden sich die
Betonungseinrichtungen. Foto: Heinrich Mehring
Die
einzige Arbeit, die nun noch ausstand, war die Präparierung der zweiten
Hammerleiste. Inzwischen hatte Dr. Becker einen Brief von Nancarrow
bekommen, in dem dieser mitteilte, dass er 16 Notenrollen für ein
Konzert in Köln vervielfältigen lassen wolle. Nancarrow machte auch
einige Anmerkungen über die Geschwindigkeiten seiner Studies
und fügte zwei Fotos bei, auf denen die Präparierung der Hämmer mit
Metallstücken deutlich zu erkennen war. Ich machte
mich nun an die Präparierung der Hämmer. Vorab testete ich einige
Metalle wie Aluminium, Eisen und Messing. Ich entschloss mich, die
Hammerköpfe der tiefen Töne mit Polsterernägeln zu garnieren, deren
Rundköpfe zuvor flach gefeilt wurden. Für die höheren Töne
verwendete ich Messingstreifen, die entsprechend den Rundungen der
Hammerköpfe geformt wurden. Im Gegensatz zu Nancarrows Klavier wurden
die Filzköpfe zuvor nicht mit Lederstreifen überzogen. Jörg baute die
präparierte Hammerleiste ein, und es zeigte sich, dass die
Klangcharakteristik gegenüber der normalen Hammerleiste wesentlich verändert
war: So klang das Instrument bei leisem Anschlag ähnlich einem Cembalo;
bei härterem Anschlag war der Ton laut und metallisch. Im Gegensatz zu
Nancarrow hatten wir übrigens wenig Probleme mit gerissenen Saiten.
Dies mag auf die Verwendung des weicheren Metalls Messing zurückzuführen
sein.
Nach den ersten gemeinsamen Konzerten wurde jedoch auf Anraten Nancarrows diese
Präparierung durch hart intonierte normale Hammerköpfe aus Filz
ersetzt. Vgl. hierzu Nancarrows
Brief an den Autor.
Nach
oben
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