Auszüge aus dem Buch
Historias de Edmundo Flores, Volumen 1, Autobiografia 1919-1950, 2a.
Edición. Martín Casillas Editores, México, 1985.
Conlon Nancarrow und Edmundo Flores waren viele Jahre
eng befreundet. Annette Nancarrow schreibt in ihren
‚Memories’
ausführlich über diese Freundschaft.
Im Folgenden wurden die Abschnitte der Biographie, die
sich auf Nancarrow beziehen, von Beatrix Hocker aus dem Spanischen
übersetzt. Jürgen Hocker dankt Luis Stephens, der ihm die inzwischen
vergriffene Biographie zur Verfügung stellte.
Ich lernte auch einen schweigsamen, schüchternen
Amerikaner kennen, der häufig mit den Augen zwinkerte und den Eindruck
völliger Hilflosigkeit erweckte. Er hieß Conlon Nancarrow, und ich erfuhr,
dass er aus Texarkana stammte, einem Ort an der Grenze zwischen Texas und
Arkansas, und dass er als Flüchtling nach Mexiko gekommen war, nachdem er in
Spanien in der internationalen Lincolnbrigade gekämpft hatte. Conlon sprach
häufig vom Stierkampf, einer Liebhaberei, in der ich mich auszukennen
glaubte. Eines Tages diskutierte ich mit ihm ein technisches Detail des
Stierkampfs, und zu meiner Überraschung versicherte er mir, dass ich mich
irre. Mir schien klar, dass er es war, der sich irrte, da schließlich ein
Gringo nicht mehr von Stieren verstehen konnte als ein Mexikaner, und das
sagte ich ihm. Da bot mir Conlon eine Wette um ein paar Pesos an und wir
verabredeten ein Treffen, um unsere Wette zu überprüfen. Einige Tage später
kam er zu diesem Treffen, bewaffnet mit den vier Bänden des Buches Los Toros
von José Maria de Cossío.
Er hatte Recht, und ich verlor die Wette. Trotz
seiner Zurückhaltung wurden wir nach und nach Freunde. Er lebte in einer
gemieteten Dachwohnung in der Calle de Eliseo, in derselben Straße, in der
auch ich wohnte. Er lud mich in seine Wohnung ein und ich nahm gerne an. Wir
stiegen viele Treppen empor bis zur Dachterrasse, wo er zwei bescheidene
Dienstbotenzimmer bewohnte, die wie bei Edith Landis voll gestopft waren mit
allen möglichen Dingen, Zeitschriften, Reproduktionen von Gemälden, wie z.
B. Guernica von Picasso, und natürlich vielen Büchern. Conlon sprach
Spanisch, wollte es aber besser sprechen können. Er sagte mir, dass er jeden
Tag lerne und schlug mir vor, ihm zweimal in der Woche Spanischunterricht zu
geben; dafür würde er mir Englischunterricht erteilen, ein Vorschlag, dem
ich gern zustimmte. An den Nachmittagen lasen und diskutierten wir in den
Spanischstunden den Quijote und in den Englischstunden Finnengans’ Wake von
Joyce. Vor der Entscheidung für Finnengans’ Wake ließ Conlon mich The
Portrait of the Artist as a Young Man lesen, das mich beeindruckte. Wenn wir
in Finnengan’s Wake an eine undurchsichtige Stelle kamen, die Conlon auch
nicht verstand, befragten wir Enzyklopädien, The Shorter Oxford English
Dictionary und ein Buch, das einen Schlüssel zur Dechiffrierung von Joyce
enthielt.
Conlon war Musiker und komponierte. Er gab mir
einige Bücher zu lesen und erzählte mir seine Abenteuer im Spanischen Krieg.
Am Ende jeder Sitzung holte er eine Karaffe mit Bacardi Rum hervor, und wir
tranken einige Gläser. Nach einiger Zeit gaben wir die Lektüre von Cervantes
und Joyce auf und begannen frei über andere Themen zu sprechen, insbesondere
über Musik und Agronomie, mal auf Englisch, mal auf Spanisch; und ich hörte
zum ersten Mal Bela Bartok, als Conlon mit mir über moderne Musik sprach.
(Seite 169/170)
Zu dieser Zeit lebten die großen Dirigenten Otto
Klemperer und Erich Kleiber als Flüchtlinge in Mexiko. Conlon hatte eine
Zutrittsberechtigung für die Proben des Sinfonieorchesters erhalten, die er
mir manchmal auslieh. Ich verschwand heimlich um 12.00 Uhr mittags aus dem
Büro des Ministeriums und ging ein paar Stunden zu den Proben des
Sinfonieorchesters. Dies trug entscheidend zu meiner musikalischen Bildung
bei. (Seite 233)
Ich lernte Edith Henderson Ende 1943 auf einem Fest
der Partei kennen. Edith mietete ein Zimmer in einem Gästehaus, das von der
Frau von David Alfaro Siqueiros geführt wurde. Edith war Sopranistin, sang
Schubertlieder, und es bekümmerte mich, sie singen zu sehen, obwohl sie es
gut machte. Sie erzählte mir, dass sie an der Universität von Northwestern
Gesang studierte. Sie lebte in Chicago und ihr Vater besaß eine Fabrik für
Apfel-, Ananas-, Zitronen- und Baiser-Kuchen. Ich ging mit ihr aus, ohne
dass María Luisa davon wusste, und es war Edith, die mir half, zusammen mit
den Rosenhouses und Conlon ein Stipendium zu beantragen.
Die politischen Überzeugungen der Rosenhouses und
der Garcías und vieler anderer aus dem Besucherkreis des Cafés China Town
waren ähnlich. Wir sympathisierten alle mit der Sowjetunion und waren für
die Schaffung einer zweiten Front. (Seite 235)
Am Nachmittag gingen Tony und ich nach San Angel,
um Conlon Nancarrow abzuholen. Wir trafen ihn nicht an und hinterließen ihm
eine Nachricht, dass er sich mit mir in Verbindung setzen solle. Dann
begaben wir uns zum Haus von Steve und Heddy. Sie war die Tochter von
Professor Norris Hall aus Wisconsin, und eine enge Freundin von Sage. Heddy
hatte kurz vorher Louis E. Stephens (Steve) geheiratet, einen reichen
amerikanischen Industriellen, der in Mexiko lebte, und den ich in Madison
kennen lernte. Durch einen ungewöhnlichen Zufall hatte sich die Exfrau von
Steve, Annette, mit Conlon verheiratet, so dass einerseits Sage eine
Verbindung zu Heddy hatte, und ich andererseits, durch Conlon, eine
Verbindung zu Steve. (Seite 367/368)
Conlon lud mich in sein neues Haus ein, das sich in
Tlacopac, San Angel befand. Das Haus, das von dem Architekten Manuel Parra
nach der neuesten Mode gebaut war, imitierte den Kolonialstil unter
Verwendung von Türen, Balken, Böden und Säulen, die aus alten Häusern, die
im Zuge der Stadterweiterung abgerissen worden waren, oder aus geplünderten
Kirchen stammten. Die Innenreinrichtung war Annettes Werk, voll mit
mexikanischen Motiven, authentischen Götterfiguren, Heiligen, Masken aus
Chinapapier, wie sie in den Pulquerías zu finden sind, Mosaiken aus Puebla
etc. Conlon entschuldigte sich für die Dekoration und erklärte mir, dass er
Annette versprochen habe, ihr diesen Teil des Hauses zu überlassen im
Gegenzug zu völliger Freiheit in seinem Arbeitsbereich. Dieser erwies sich
als eine anarchische Ansammlung von Musikinstrumenten, Elektromotoren und
Werkzeugen, dies alles in einem Bereich mit doppelten schalldichten Wänden,
in dessen Mitte sich eine Toilette befand. Jemand fragte Conlon, ob er
vorhabe, sie mit einer Wand zu umgeben, und er antwortete, dass er nicht die
Absicht habe, da es ihm so gefalle wie es sei.
Conlon trug einen Bart und einen großen
Schnurrbart. Er erzählte mir, dass sein Vater gestorben sei und ihm einiges
Geld vererbt habe; er sprach auch über seine Heirat mit Annette Stephens,
dem schönen Exmodell von Orozco und der Exfrau von Steve, der seinerseits
Heddy Hall, die Freundin von Sage, geheiratet hat. Conlon hatte die beiden
letzten Jahre dem Bau einer Musikmaschine gewidmet, die Musik mit Hilfe von
perforierten Papierrollen wiedergeben und von mehreren miteinander
verbundenen Pianolas gesteuert werden sollte. Die Maschine würde die Musik
immer wieder in der gleichen Weise wiedergeben, und so könne man den
menschlichen und emotionalen Faktor bei der Darbietung eines Stückes
ausschalten, die Musik würde immer dieselbe sein und es gebe keine
Gelegenheit und Möglichkeit für Änderungen, Entstellungen oder Konflikte.
Heute hat Conlon Nancarrow die weltweite Anerkennung gefunden, die er
verdient, aber er verweigert sich weiterhin der Vermarktung seines Erfolgs
und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten. (Seite 369/370)
Als wir nach Mexiko Stadt, zurückkehrten, stellten
Annette und Conlon uns dem Architekten Juan O’Gorman vor, einem guten und
politisch links stehenden Maler, der von der Idee besessen war, billige
Häuser für die Arbeiter zu bauen. Er hatte gerade ein kleines Haus in
Tlacopac, San Angel, gebaut, dem die Maurer den letzten Schliff gaben. Das
Haus bestand aus Luftziegeln, Backsteinen und rotem Tuff, mit billigen
Eisenbeschlägen an den Fenstern und Türen... (Seite 376)
Wir verbrachten einen Tag mit einem Amerikaner, John
Langley, den ich kennen gelernt hatte, bevor ich in die Vereinigten Staaten
ging und der ein Freund von Conlon war. (Seite 403)
Nach oben |